Ein junger Mann mit einem Feuerzeug in der Hand: mit einer
fast rituellen Geste zündet der ein Buch an. Wenig später wird er sich
selbst verbrennen.
1975: Kim Yong-Su will ein Buch über Jeon Tae-il, einen
Märtyrer der Arbeiterbwegung, der sich aus Protest gegen unmenschliche
Arbeitsbedingungen und politische Unterdrückung selbst verbrannt hat,
schreiben. Park Kwang-Su erzählt zwei ineinander verflochtene
Geschichten. Ähnlich wie in seinem vorherigen Film To The Starry Island
erscheint hier der Leidensweg des Hilfsarbeiters Jeon Tae-il (als
weiteres Kapitel der totalitären Vergangenheit Koreas) gefiltert durch
die Imagination einer zweiten Person, in diesem Fall durch Kim Yong-Su.
Die Sequenzen aus dem Leben Jeon Tae-ils in den sechziger
Jahren sind in schwarz-weißen Bildern zu sehen. Arbeiterinnen und
Arbeiter, die meisten von ihnen noch Kinder, schuften unter sklavischen
Bedingungen in viel zu engen, unzureichend beleuchteten und belüfteten
Fabriketagen. Ein Mädchen erleidet einen Blutsturz und stirbt später an
Tuberkulose.
Kim Yong-Su und seine Freundin Shin Jun-Soo, eine
Fabrikarbeiterin: er gibt Abendkurse für Arbeiter. Seine Freundin will
mit Kolleginnen eine Gewerkschaft gründen. Man sieht streikende und
brutal mißhandelte Arbeiterinnen. Im Fernsehen werden Berichte über den
Krieg in Vietnam gezeigt. Kim Jong-Su, selbst von der Polizei gesucht,
bleibt dabei in der Rolle des Zuschauers gefangen.
Park Kwang-Sus Hervorhebung der Geschichte Jeon-Tae-ils in
decoloriertem Filmmaterial nimmt jeden spekulativen Effekt aus dem Film.
Nur einmal in einer wütenden Sequenz, in der sich Jeon Tae- il selbst
verbrennt, verwendet Kwang-Su Zeitlupe und montiert diese Bilder mit
wütenden Protesten von Studenten und Arbeitern Im Korea der Gegenwart.
Der Intellektuelle Kim Yong-Su und seine Freundin, die
Arbeiterin können nicht zusammenkommen. An einem Bahnhof sitzen sie sich
auf zwei verschiedenen Bahnsteigen gegenüber. Ein vorbeifahrender Zug
durchschneidet ihre Blicke. Sie erwartet ein Kind von ihm; er ist auf
der Flucht vor der Polizei.
Mit Bitterkeit erinnert der Film daran, daß die
Wirtschaftsmächte Koreas und anderer ostasiatischer Länder vor allem das
Resultat brutaler Ausbeutung sind. Die sogenannte „industrielle
Revolution“ hat in Asien später begonnen. Nicht zufällig erinnern die
Versuche der Arbeiterinnen, eine Gewerkschaft zu gründen, an die ersten
Arbeitervereine im feudalen Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts.
Jeon Tae-il wurde zu dreißig Prozent aus Spenden von über 7000
Einzelpersonen finanziert, unter anderem von Politikern, Bergarbeitern
und Schulkindern. Was dieser Film für die koreanische Öffentlichkeit
bedeutet, ist eine Sache. Wie das Kino Betroffenheit vermitteln kann
ohne sein Thema an die Schaulust zu verraten, davon gibt Jeon Tae-il ein
beeindruckendes Beispiel.
Rüdiger Tomczak
Ein Gespräch mit Park Kwang-Su
Die Schwarz-Weiß-Sequenzen in Jeon Tae-il scheinen mit
einem besonderen Material gemacht zu sein. Es wirkt sehr fragil, wie
Filmmaterial im Prozeß der Auflösung.
Jeon Tae-il ist in Korea so berühmt, daß es absolut überflüssig und unmöglich ist, hier fiktive Elemente hinzuzufügen. Jeder in Korea weiß, wer Jeon-Tae-il war. Darum habe ich auch die Sequenzen mit Jeon-Tae-il aus den Sechziger Jahren entfärben lassen. Es gibt einige Szenen, wo Jeon-Tae-il in Farbe zu sehen ist. Im Heizungskeller, wo Kim Yong-Su arbeitet und sich umdreht, sieht er Jeon-Tae-il in Farbe. Dann wird er wenig später wieder in schwarz weiß zu sehen sein. In dieser Sequenz löst sich Kim Yong-Su allmählich in Jeon Tae-il auf. Das Porträt Jeon Tae-ils ist hier durch den Kopf und die Augen Kim Yong-Sus gefiltert. Kim Yong-Su ist ein komplexes Bild der damaligen Intellektuellen, die sich nach jeon Tae-ils Tod für Veränderungen engagiert haben. Die Decolorierung des Filmmaterials ist in Korea leider unmöglich und wurde in Sydney ausgeführt. Für die Fabrikszenen in den Sechziger Jahren habe ich dann aber tatsächlich Schwarz-Weiß-Material benutzt.
Sie haben eigentlich auch schon etwas über die
Erzählperspektive gesagt. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es in
ihrem vorherigen Film To The Starry Island etwas sehr ähnliches. Hier
erinnert sich ja auch jemand, ich glaube an die Familie seines toten
Freundes. Ich erinnere mich an Bildkompositionen, wo rechts und links
Leute mit dem Rücken zur Kamera in das Bild blicken. Ich muß dabei auch
an die Position Kim Yong-Sus denken, die ja sehr ähnlich der eines
Zuschauers ist.
Das haben Sie ganz richtig gesehen. In To The Starry Island
wie auch in Jeon Tae-il liegt die Geschichte schon sehr weit zurück für
die Leute, die heute in Korea leben. Darum muß man da eine Person
hinstellen, die uns heute nahesteht. In diesem Fall ist es Kim Yong-Su.
Er hat so eine Art Brückenfunktion um die Leute, die vergessen haben,
daran zu erinnern. Das ist in To The Starry Island genauso. Es
gibt in meinem letzten Film immer wieder die Verbindung zwischen Kim
Yong-Su, Jeon Tae-il und seiner Mutter. In den sechziger Jahren war
Korea viel konfuzianischer als heute. Der Konfuzianismus gibt
Verhaltensregeln zwischen Eltern und Kindern oder oben und unten. Diese
hierarchische Gesellschaftsstruktur war in den Sechziger Jahren noch
intakter als jetzt. Vor den Eltern sterben ist schon eine Verletzung der
Kinderpflicht. Sich aber das Leben nehmen, ist nach diesen Regeln ein
Verbrechen den Eltern gegenüber. Bevor sich Jeon Tae-il das Leben nimmt,
sieht man ihn in der Nacht aufstehen. Er macht das Licht an und sieht
seiner schlafenden Familie, besonders seiner Mutter, zu. Er weiß, daß
sein Selbstmord die größtmögliche Untat gegenüber seiner Familie sein
wird.
Ich möchte noch einmal auf die Beziehung zwischen Jeon
Tae-il und Kim Yong-Su zurückkommen. Der scheint sich in der Geschichte
Jeon Tae-ils zu verlieren, der ihm näher zu sein scheint als seine
schwangere Freundin, die ja auch Fabrikarbeiterin ist.
Nach der Selbstverbrennung Jeon Tae-ils waren die Intellektuellen sehr geschockt. Sie haben sich dann gefragt, was sie getan haben, während die Arbeiter für die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und die Menschenrechte gekämpft haben. Ein Teil der koreanischen Intellektuellen war der Meinung, daß man sich für die Arbeiterbewegung engagieren muß. Man wollte die Arbeiterbewegung in die politische Bewegung integrieren. Jeon Tae-ils Tod war der Anlaß dazu. Ein kleiner Teil der Intellektuellen sind auch in die Fabriken gegangen um Handarbeit zu leisten. Kim Yong-Su konnte natürlich nicht in die Fabrik gehen, da er von der Polizei gesucht wurde und untertauchen mußte. Er konnte sich also nicht öffentlich engagieren. Immerhin hat er ja seine Freundin in der Fabrik kennengelernt und versucht den Arbeitern durch Abendschulkurse zu helfen. Am Ende gibt es eine extreme Situation. Sie ist noch nicht möglich, diese Beziehung zwischen einem Angehörigen der intellektuellen Elite und einer Fabrikarbeiterin. Aber sie trägt sein Kind im Bauch. In diesem Klassenkonflikt gibt es keinen Schimmer von Hoffnung. Das war die Situation der sich engagierenden Intellektuellen. Kim Yong-Su ist hauptsächlich eine beobachtende Figur, der aber zum Beispiel seiner Freundin Anregungen zur gewerkschaftlichen Organisation gibt. Dabei überschreitet er aber die Grenzen, indem er eine Fabrikarbeiterin liebt und ein Buch über den Arbeiter Jeon Tae-il schreibt. Für mich ist er so eine Art idealer Intellektueller, der sowohl denkt als auch handelt.
Nach der Selbstverbrennung Jeon Tae-ils waren die Intellektuellen sehr geschockt. Sie haben sich dann gefragt, was sie getan haben, während die Arbeiter für die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und die Menschenrechte gekämpft haben. Ein Teil der koreanischen Intellektuellen war der Meinung, daß man sich für die Arbeiterbewegung engagieren muß. Man wollte die Arbeiterbewegung in die politische Bewegung integrieren. Jeon Tae-ils Tod war der Anlaß dazu. Ein kleiner Teil der Intellektuellen sind auch in die Fabriken gegangen um Handarbeit zu leisten. Kim Yong-Su konnte natürlich nicht in die Fabrik gehen, da er von der Polizei gesucht wurde und untertauchen mußte. Er konnte sich also nicht öffentlich engagieren. Immerhin hat er ja seine Freundin in der Fabrik kennengelernt und versucht den Arbeitern durch Abendschulkurse zu helfen. Am Ende gibt es eine extreme Situation. Sie ist noch nicht möglich, diese Beziehung zwischen einem Angehörigen der intellektuellen Elite und einer Fabrikarbeiterin. Aber sie trägt sein Kind im Bauch. In diesem Klassenkonflikt gibt es keinen Schimmer von Hoffnung. Das war die Situation der sich engagierenden Intellektuellen. Kim Yong-Su ist hauptsächlich eine beobachtende Figur, der aber zum Beispiel seiner Freundin Anregungen zur gewerkschaftlichen Organisation gibt. Dabei überschreitet er aber die Grenzen, indem er eine Fabrikarbeiterin liebt und ein Buch über den Arbeiter Jeon Tae-il schreibt. Für mich ist er so eine Art idealer Intellektueller, der sowohl denkt als auch handelt.
Um am Schluß noch einmal auf die Erzählperspektive
zurückzukommen. Im Grunde genommen nähert sich Kim Yong-Su doch seiner
Freundin über den Umweg Jeon Tae-il.
Seine Freundin Shin Jung-Soon befindet sich zwischen Kim Yong-Su dem Intellektuellen und Jeon Tae-il dem Arbeiter. Jeon Tae-il wird einfach nur als Arbeiter, der sich für seine Rechte einsetzt, dargestellt. Die Aspekte zu seiner Person werden ausgelassen und durch die Person Shin Jung weitererzählt. Shin Jung-Soon symbolisiert nicht nur durch das Kind in ihrem Bauch, sondern sie verweist auch auf eine neue Zukunft der Arbeiter.
Interview: Rüdiger Tomczak Herzlicher Dank an die Übersetzerin Hye -Kyung Rhim.
(Erstveröffentlichung shomingeki Nummer 2, Juli 1996, vergriffene Ausgabe)
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